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Kafkas Grundschule (Volksschule) - Kopieren

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1889 bis 1893 besuchte Franz Kafka die nahe gelegene Deutsche Knabenschule am Fleischmarkt.
Blick auf Kafkas Grundschule von der tschechischen Konkurrenzschule aus
Foto: Schwimmbad, Kafka war ein begeisterter Schwimmer und Ruderer

  
Die zivilen Schwimmschulen zählten „zu den […] sehr seltenen Orten, an denen beinahe ungezügelte Bewegung geduldet wurde, und es gab wohl keinen Schüler in Prag, der — verurteilt zu wöchentlich dreißigstündigem Stillsitzen — über die Öffnungszeiten und Eintrittspreise nicht genau Bescheid wusste.
Es standen auf beiden Seiten des Flusses mehrere solcher Bäder zur Wahl, die alle ähnlich konstruiert waren: ein ausgedehnter, schwimmender Aufbau aus Holz, der, um Zerstörung durch Treibeis zu vermeiden, in jedem Frühjahr neu zusammengezimmert und dann am Ufer mit Ketten befestigt wurde; innen eine bassinartige Aussparung, der sogenannte ›Spiegel‹, der vom Flusswasser durchströmt wurde; auf den Rändern der Plattform Umkleidekabinen, separate Badezellen, Sprungbretter, Turngeräte sowie eine kleine Küche nebst Restaurationstischen, an denen auch Kaffee und Pilsener serviert wurde. [...]
 
Franz Kafkas Vater hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, gemeinsam mit Franz — es muss während dessen Volksschuljahren gewesen sein — an heißen Sonntagen hinüber zur ›Civilschwimmschule‹ am Kleinseitner Ufer zu gehen, dort ein paar Schwimmzüge zu machen und dann (was wahrscheinlich wichtiger war) mit den anwesenden Bekannten Bier zu trinken.
Außerdem hatte er den Ehrgeiz entwickelt, seinem Sohn das Schwimmen eigenhändig, also gratis beizubringen, wobei er völlig übersah, dass dessen gewohnte und lästige Ängstlichkeit sich keineswegs nur auf das Wasser bezog. Im viel zitierten Brief an den Vater schrieb Kafka:

»Ich war ja schon niedergedrückt durch Deine bloße Körperlichkeit. Ich erinnere mich z. B. daran, wie wir uns öfters zusammen in einer Kabine auszogen. Ich mager, schwach, schmal, Du stark, groß, breit. Schon in der Kabine kam ich mir jämmerlich vor, und zwar nicht nur vor Dir, sondern vor der ganzen Welt, denn Du warst für mich das Maß aller Dinge. Traten wir dann aber aus der Kabine vor die Leute hinaus, ich an Deiner Hand, ein kleines Gerippe, unsicher bloßfüßig auf den Planken, in Angst vor dem Wasser, unfähig Deine Schwimmbewegungen nachzumachen, die Du mir in guter Absicht, aber tatsächlich zu meiner tiefen Beschämung immerfort vormachtest, dann war ich sehr verzweifelt, und alle meine schlimmen Erfahrungen auf allen Gebieten stimmten in solchen Augenblicken großartig zusammen. Am wohlsten war mir noch, wenn Du Dich manchmal zuerst auszogst und ich allein in der Kabine bleiben und die Schande des öffentlichen Auftretens solange hinauszögern konnte, bis Du endlich nachschauen kamst und mich aus der Kabine triebst. Dankbar war ich Dir dafür, dass Du meine Not nicht zu bemerken schienest, auch war ich stolz auf den Körper meines Vaters.«

Dass jenes »kleine Gerippe« die eher mäßigen Schwimmkünste des Vaters — den er später gegenüber Dora Diamant sogar als Nichtschwimmer qualifizierte — sehr bald überflügelte, erwähnt Kafka wohlweislich nicht; auch scheinen sich die gemeinsamen Besuche der Schwimmschule trotz aller Ängste über einen längeren Zeitraum fortgesetzt zu haben, denn schließlich durfte sich Franz sogar am Biertrinken beteiligen.
Die Scham des unzulänglichen Körpers aber blieb, selbst als längst Erwachsener hatte er gegen sie anzukämpfen, wenn er sich in Schwimmhosen zeigte, und in späteren Jahren kamen noch andere Empfindlichkeiten hinzu, vor allem die gegen Lärm und gegen physische Bedrängnis. Dennoch hat Kafka Tausende Stunden seines Lebens in öffentlichen Bädern verbracht: zunächst in der Civilschwimmschule, wo er zudem den Umgang mit dem Kajak erlernte und über lange Zeit sogar ein eigenes Ruderboot liegen hatte, danach in der Schwimmschule an der Sophieninsel, wo er selbst als Tuberkulosekranker sein Abonnement Jahr für Jahr erneuerte; und auch auf Reisen behielt er diese Gewohnheit bei und erkundigte sich, wo immer er war, sogleich nach Bädern.
[...]

Quelle: Reiner Stach, Kafka. Die frühen Jahre © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2014; in: https://www.goethe.de/resources/files/pdf63/13508465-STANDARD.pdf


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